„Wir haben viel zu wenig Pflegeplätze in Bonn“ – Interview mit Caritasdirektor Jean-Pierre Schneider

Wie sehen Sie die aktuelle Situation des Pflegebereichs in Bonn?
Der Fachkräfte- und Personalmangel hat sich in den letzten Jahren zu einer großen Herausforderung entwickelt – das hat gerade die Personalakquise nach der Pandemie deutlich gemacht. Das ist einer der Gründe, warum wir in Bonn weniger Pflegeplätze haben als noch vor einigen Jahren. Vor allem haben wir viel zu wenig Pflegeplätze im Vergleich zum Bedarf.
Im Zusammenspiel mit der rasant steigenden Zahl pflegebedürftiger älterer Menschen wird sich die Situation absehbar weiter verschärfen. Was unternimmt der Caritasverband, um dem gerecht zu werden?
In aller Kürze: Zum einen müssen wir dafür sorgen, dass wir auch weiterhin ein attraktiver Arbeitgeber bleiben und als solcher wahrgenommen werden. Zum anderen müssen wir unsere hohe Qualität halten und uns weiterentwickeln. Das heißt auch, Pflege weiter neu zu denken. Zum ersten Punkt: Noch sind wir relativ gut aufgestellt. Das liegt auch daran, dass der Caritasverband als sicherer, zuverlässiger und überdurchschnittlich gut zahlender Arbeitgeber sehr geschätzt wird. Unsere Gehälter orientieren sich mindestens an TVöD-Bedingungen. Es kommen dann noch Sonderregelungen und Benefits dazu.
Und was heißt es konkret, Pflege neu zu denken?
Wir müssen immer bereit sein zu lernen: Welche Konsequenzen sind aus der Tatsache zu ziehen, dass das Pflegesetting heute ganz anders aussieht als noch vor zehn Jahren? Es gilt, bestehende Versorgungskonzepte weiterzuentwickeln, vor allem aber neue, innovative Konzepte zu entwerfen – etwa, wie wir möglichst viele Leistungen nicht nur in Heimen sicherstellen. Wir benötigen mehr Modelle, die es Menschen gestatten, so lange wie möglich zuhause zu bleiben. Ziel ist, dass die Caritas ihnen dort in ihrer vertrauten Umgebung sichere und zuverlässige Pflege bieten kann, so dass wir nicht auf die so knappen stationären Heimplätze angewiesen sind. Ganz essenziell ist dabei das Denken in Netzwerken. Wir sind schon jetzt mit vielen Partner*innen gemeinsam unterwegs. Mit der Bürgerstiftung Rheinviertel haben wir zum Beispiel eine ambulante Demenzhilfe und bereits 2007 den ambulanten Palliativdienst aus der Taufe gehoben.
Gibt es auch Neuerungen in der Ausbildung?
Ja. Was Fachlichkeiten betrifft, so differenzieren wir heute stärker: Wer kann was beitragen mit welchem Ausbildungsumfang? So können wir das alte Muster, das nur Fachkräfte oder Nicht-Fachkräfte kannte, aufbrechen. In der Altenpflege sprechen wir jetzt von einem kompetenzorientierten Personalmix, in dem nun mehr Gruppen – Pflegefachkräfte, Assistenz- und Hilfskräfte – sowie weitere Berufe eng Hand in Hand zusammenarbeiten.
Was fordern Sie von der Politik?
Wir müssen uns jetzt auf politischer Ebene für eine gesicherte Zukunft der Pflegeeinrichtungen und -dienste einsetzen. Das ist angesichts der Krankenhausdebatten in Berlin nicht ernst genug genommen worden. Personalengpässe etwa können wir als Träger nicht allein bekämpfen – hier bedarf es gemeinschaftlicher gesellschaftlicher und politischer Anstrengungen. Entscheidend ist aber vor allem, dass die Finanzierbarkeit der Pflege sichergestellt ist. Auch dafür brauchen wir politische Kurskorrekturen. In diesem Zusammenhang spielt eine große Rolle, wie sich unsere Pflegeversicherung weiterentwickelt: Inwieweit sind wir bereit, für das Risiko einer möglicherweise längeren Pflegebedürftigkeit gemeinsam mehr gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen? Zu denken wäre hier dringend an reguläre steuerfinanzierte Komponenten in der Pflegeversicherung. Vor dem Hintergrund des Klimawandels benötigen wir außerdem Konzepte für die energetische Ertüchtigung von Gebäuden. Zum einen, um den Heimbewohner*innen Schutz vor der Hitze zu bieten, zum anderen, um die Energiekosten zu senken. Das geht nur, wenn sich die Politik zu entsprechenden Investitionskostenentscheidungen durchringt. Mit den jetzigen Mitteln ist das nicht zu stemmen. Das ist übrigens auch einer der Gründe, warum zurzeit hier keine neuen Heime entstehen: Für viele, gerade kleinere Träger ist das einfach ein zu großes Risiko.
Ihr Fazit?
Der Caritasverband ist nach wie vor sehr gefragt – sowohl als Arbeitgeber als auch als Träger. Die Nachfrage nach unseren Leistungen ist konstant hoch, und wir sind fachlich sehr gut aufgestellt. Unser Ziel ist es, diese Qualität zu halten, unsere Personalkonzepte ebenso wie unsere inhaltliche Arbeit weiterzuentwickeln und neue Ansätze auszuprobieren. Im Mittelpunkt stehen dabei immer die pflegebedürftigen Menschen. Die Fürsorge für alte Menschen ist eines der großen Beispiele für christliche Nächstenliebe. Daran wollen wir uns auch in Zukunft messen lassen.