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„Wir haben viel zu wenig Pflegeplätze in Bonn“ – Interview mit Caritasdirektor Jean-Pierre Schneider

Caritasdirektor Jean-Pierre Schneider blickt auf die Herausforderungen der letzten beiden Jahre zurück, die noch stark von den Auswirkungen der Corona-Pandemie geprägt waren. Im Interview spricht er über den Fachkräftemangel, der zu einem deutlichen Rückgang an Pflegeplätzen in Bonn geführt hat, und erklärt, wie der Caritasverband darauf reagiert. Besonders wichtig sei es, innovative Konzepte zu entwickeln, um Pflegebedürftigen eine möglichst lange Betreuung in ihrem Zuhause zu ermöglichen. Schneider fordert zudem politische Unterstützung, um die Zukunft der Pflege langfristig zu sichern.
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Datum:
24. Okt. 2024
Von:
Len Wirtz

Wie blicken Sie auf die Jahre 2022/2023 zurück?

Jean-Pierre Schneider: Für uns hat sich die Situation in diesen beiden Jahren verhältnismäßig gut entwickelt. Ich sage verhältnismäßig, weil beide Jahre noch von den riesigen Herausforderungen und teils traurigen Folgen von Corona geprägt waren. Insbesondere 2022 war noch ein „Coronajahr“. So hatten etwa alle Einrichtungen damit zu kämpfen, dass ebenso wie die Bewohner*innen auch zahlreiche Kolleg*innen krankheitsbedingt ausfielen – durch Corona selbst oder auch langfristig, zum Beispiel durch Long Covid. Die durch Corona erhöhte Arbeitsbelastung stieg dadurch noch weiter an. Die Mitarbeitenden haben beeindruckende Arbeit geleistet, waren mit viel Herzblut für die Bewohner*innen präsent und sind sehr einfühlsam mit der schwierigen Situation umgegangen, die diese aushalten mussten. 2023 haben wir dann den langen Schatten von Corona deutlich gespürt: Die Erschöpfung steckte vielen in den Knochen. Das hat auch dazu geführt, dass einige Mitarbeitende gesagt haben: „Ich schaffe das nicht mehr, ich kann nicht mehr in der Pflege arbeiten“, und den Pflegebereich ganz verlassen haben. Das heißt, wir mussten zügig neue Mitarbeitende finden.

... und das in einer Zeit, die gerade auch im Pflegebereich vom Fachkräftemangel geprägt ist.

Richtig. Der Fachkräfte- und Personalmangel hat sich in den letzten Jahren zu einer großen Herausforderung entwickelt – das hat gerade die Personalakquise nach der Pandemie deutlich gemacht. Das ist einer der Gründe, warum wir in Bonn weniger Pflegeplätze haben als noch vor einigen Jahren. Vor allem haben wir viel zu wenig Pflegeplätze im Vergleich zum Bedarf.

Im Zusammenspiel mit der rasant steigenden Zahl pflegebedürftiger älterer Menschen wird sich die Situation absehbar weiter verschärfen. Was unternimmt der Caritasverband, um dem gerecht zu werden?

In aller Kürze: Zum einen müssen wir dafür sorgen, dass wir auch weiterhin ein attraktiver Arbeitgeber bleiben und als solcher wahrgenommen werden. Zum anderen müssen wir unsere hohe Qualität halten und uns weiterentwickeln. Das heißt auch, Pflege weiter neu zu denken. Zum ersten Punkt: Noch sind wir relativ gut aufgestellt. Das liegt auch daran, dass der Caritasverband als sicherer, zuverlässiger und überdurchschnittlich gut zahlender Arbeitgeber sehr geschätzt wird. Unsere Gehälter orientieren sich mindestens an TVöD-Bedingungen. Es kommen dann noch Sonderregelungen und Benefits dazu, wie Weiterbildungen, Zuschüsse für den ÖPNV und sportliche Aktivitäten. Darüber hinaus nehmen wir als Bonner Caritas an Jobmessen teil, beteiligen uns am Girls’ Day und Boys’ Day und haben seit rund einem Jahr eine eigene, umfassende Karriereseite online.

Und was heißt es konkret, Pflege neu zu denken?

Wir müssen immer bereit sein zu lernen: Welche Konsequenzen sind aus der Tatsache zu ziehen, dass das Pflegesetting heute ganz anders aussieht als noch vor zehn Jahren? Es gilt, bestehende Versorgungskonzepte weiterzuentwickeln, vor allem aber neue, innovative Konzepte zu entwerfen – etwa, wie wir möglichst viele Leistungen nicht nur in Heimen sicherstellen. Wir benötigen mehr Modelle, die es Menschen gestatten, so lange wie möglich zuhause zu bleiben. Ziel ist, dass die Caritas ihnen dort in ihrer vertrauten Umgebung sichere und zuverlässige Pflege bieten kann, so dass wir nicht auf die so knappen stationären Heimplätze angewiesen sind. Ganz essenziell ist dabei das Denken in Netzwerken. Wir sind schon jetzt mit vielen Partner*innen gemeinsam unterwegs. Mit der Bürgerstiftung Rheinviertel haben wir zum Beispiel eine ambulante Demenzhilfe und bereits 2007 den ambulanten Palliativdienst aus der Taufe gehoben. Tagespflege-ähnliche Formen haben eine vergleichbare Zielsetzung: Es geht darum, Menschen unterschiedlicher Pflegegrade ein selbstbestimmtes Leben in Würde zu bieten – und dies möglichst lange in den eigenen vier Wänden. Wir arbeiten gerade intensiv daran, unser Tagespflegeprogramm in den nächsten Jahren deutlich auszubauen und zu differenzieren. Und ich komme noch einmal zu den Mitarbeitenden, unseren wichtigsten Partner*innen. Was Fachlichkeiten betrifft, so differenzieren wir heute stärker: Wer kann was beitragen mit welchem Ausbildungsumfang? So können wir das alte Muster, das nur Fachkräfte oder Nicht-Fachkräfte kannte, aufbrechen. In der Altenpflege sprechen wir jetzt von einem kompetenzorientierten Personalmix, in dem nun mehr Gruppen – Pflegefachkräfte, Assistenz- und Hilfskräfte – sowie weitere Berufe eng Hand in Hand zusammenarbeiten.

Was fordern Sie von der Politik?

Wir müssen uns jetzt auf politischer Ebene für eine gesicherte Zukunft der Pflegeeinrichtungen und -dienste einsetzen. Das ist angesichts der Krankenhausdebatten in Berlin nicht ernst genug genommen worden. Personalengpässe etwa können wir als Träger nicht allein bekämpfen – hier bedarf es gemeinschaftlicher gesellschaftlicher und politischer Anstrengungen. Entscheidend ist aber vor allem, dass die Finanzierbarkeit der Pflege sichergestellt ist. Auch dafür brauchen wir politische Kurskorrekturen. In diesem Zusammenhang spielt eine große Rolle, wie sich unsere Pflegeversicherung weiterentwickelt: Inwieweit sind wir bereit, für das Risiko einer möglicherweise längeren Pflegebedürftigkeit gemeinsam mehr gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen? Zu denken wäre hier dringend an reguläre steuerfinanzierte Komponenten in der Pflegeversicherung. Vor dem Hintergrund des Klimawandels benötigen wir außerdem Konzepte für die energetische Ertüchtigung von Gebäuden. Zum einen, um den Heimbewohner*innen Schutz vor der Hitze zu bieten, zum anderen, um die Energiekosten zu senken. Das geht nur, wenn sich die Politik zu entsprechenden Investitionskostenentscheidungen durchringt. Mit den jetzigen Mitteln ist das nicht zu stemmen. Das ist übrigens auch einer der Gründe, warum zurzeit hier keine neuen Heime entstehen: Für viele, gerade kleinere Träger ist das einfach ein zu großes Risiko.

Ihr Fazit?

Der Caritasverband ist nach wie vor sehr gefragt – sowohl als Arbeitgeber als auch als Träger. Die Nachfrage nach unseren Leistungen ist konstant hoch, und wir sind fachlich sehr gut aufgestellt. Unser Ziel ist es, diese Qualität zu halten, unsere Personalkonzepte ebenso wie unsere inhaltliche Arbeit weiterzuentwickeln und neue Ansätze auszuprobieren. Im Mittelpunkt stehen dabei immer die pflegebedürftigen Menschen. Die Fürsorge für alte Menschen ist eines der großen Beispiele für christliche Nächstenliebe. Daran wollen wir uns auch in Zukunft messen lassen. Drei Seniorenheime, vier Pflegestationen, eine Tagespflege – die Altenpflege spielt im Bonner Caritasverband von jeher eine wichtige Rolle. Im Interview wirft Caritasdirektor Jean-Pierre Schneider einen Blick zurück auf die Jahre 2022/2023 und erläutert die aktuellen Entwicklungen im Pflegebereich.